Anno Domini 2000 - ein neues Millennium? Jabberwocky
Mit der Behauptung, das neue Jahrtausend würde erst am 1. Januar 2001 beginnen, wurde die Bevölkerung während der Vorbereitung zum Jahreswechsel verunsichert. War nun an Sylvester 1999 tatsächlich nur ein neues Jahr zu feiern, nicht das ersehnte neue Jahrhundert und schon gar nicht ein neues Millennium? Warf etwa der Y2K-Bug seinen Schatten voraus, oder steckt tatsächlich ein ernster Kern hinter diesem Pudel? Auf diese wichtige Fragen muß zweifellos eingegangen werden. Größtenteils besteht Einigkeit darüber, daß ein Jahrhundert erst dann abgeschlossen ist, wenn einhundert volle Jahre beendet sind, analog dazu besteht ein Jahrtausend aus vollen eintausend abgeschlossenen Jahren zu jeweils zwölf Monaten. Erst wenn dieser Fall eingetreten ist, beginnt das nächste Jahrhundert, bzw. Jahrtausend. Stellen wir uns also vor - die Jungs vom Sägewerk können jetzt gerne mal rausgehen und eine rauchen - stellen wir uns einfach vor, jeder unserer Finger stünde für ein abgeschlossenes Jahrzehnt ... wenn wir unsere Finger zählen und uns nicht verzählt haben, dann haben wir zehn abgeschlossene Jahrzehnte vor uns: ein ganzes komplettes Jahrhundert. Der elfte Finger würde also bereits zum nächsten Jahrhundert gehören. So einfach ist es aber leider nicht, denn der zehnte Finger muß bis zum Anfang des elften Fingers reichen und keinesfalls etwa vom Ende des neunten Fingers bis zum Anfang des zehnten. Man merkt schon, dies ist eine verflixte Sache und gar nicht so leicht zu durchblicken. Ich habe deshalb auch extra mit Jahrhunderten gerechnet, denn mit Jahrtausenden geht es sich erst recht nicht aus, weil wir da erst drei haben, bzw. kurz vor dem dritten stehen, und man spricht ja auch vom 20. bzw. 21. Jahrhundert. Klar, ihr habt es alle bemerkt, wir haben falsch gezählt. Wir dürfen nicht unsere Finger als abgeschlossene Jahrzehnte betrachten und einfach so draufloszählen - ein Jahrzehnt endet ja erst, wenn das nächste beginnt! Der Abstand zwischen unseren Fingern ist viel besser geeignet, die Zeitspanne eines Jahrzehnts darzustellen, besonders wenn wir unsere Finger richtig spreizen. Zählen wir also nochmal: Das erste Jahrzehnt beginnt mit dem kleinen Finger der linken Hand (bei Linkshändern - auf die ein andermal ausführlich eingegangen werden soll - mit dem kleinen Finger der rechten Hand) und endet mit dem Beginn des linken Ringfingers; das zweite Jahrzehnt beginnt mit dem linken Ringfinger und endet genau am Mittelfinger der gleichen Seite. Vielleicht wäre es besser gewesen, die Handflächen nach oben zu drehen, weil da nämlich noch eine schwierige Stelle vor uns liegt... Wir zählen also weiter, ohne dabei zu übersehen, daß auch zwischen den beiden Daumen eine Lücke zu zählen ist (sofern man die Handrücken nach oben gerichtet hat, sonst befindet sich die Lücke zwischen den kleinen Fingern - also Achtung!). Und wenn wir jetzt sorgfältig alle Lücken zählen, dann stellen wir zu unserer völligen Verblüffung fest, daß wir erst die benötigten zehn Jahrhunderte zusammen haben, wenn wir die imaginäre Lücke hinter unserem zehnten Finger mitzählen! Genau das ist der Grund, warum das neue Jahrhundert, bzw. Jahrtausend erst im Jahr 2001 und nicht schon im Jahr 2000 beginnt: Die Lücke zwischen den Fingern, d. h. die Zeitspanne, die das letzte Jahr des alten Jahrhunderts für sich beansprucht. Nun werden wieder viele sagen, wer sei schon so durchtrieben, daß er die Lücken zwischen den Fingern zählt, wenn er sich vergewissern will, das noch alle da sind. Da fällt mir gerade ein: Die Jungs vom Sägewerk können wieder reinkommen. Nehmen wir also ein anderes Beispiel aus unserer wunderbaren christlichen Zeitrechnung: Ein neuer Tag beginnt erst, wenn die letzte, die 24. Stunde, des alten Tages abgeschlossen ist. Diese letzte Stunde beginnt um 24 Uhr und endet um 24 Uhr, 59 Minuten und 59 Sekunden ... nun, sie endet eben genau dann, wenn die erste Stunde des neuen Tages beginnt, also um Punkt ein Uhr morgens. Logisch, wie alles beginnt auch der Tag mit eins - viele von euch wissen das nur nicht, weil sie da schon immer im Bett sein müssen und diesen historischen Augenblick stets verschlafen. Was muß ich da hören! Jemand aus den hinteren Reihen hat gerade "Null Uhr!" gerufen. "Null Uhr", das ist Humbug, das ist ein Ammenmärchen! Keine richtige Uhr auf der Welt hat die Zahl Null auf dem Zifferblatt, niemals. Weder die Schwarzwälder Kuckucksuhr, noch die Sonnenuhr, die Wasseruhr oder gar die Sanduhr. Die Tankuhr ... vielleicht, aber die ist heute nicht unser Thema. Nein, um das hier ein für alle mal klarzustellen: "Null Uhr" ist eine Erfindung der Uhrenindustrie, mit der sie den Verkauf der Digitaluhren ankurbeln will! Reine Werbung, völlig fiktiv, ganz und gar über das Zifferblatt der bewährten Analoguhr transzendierender Unsinn. Nochmal: Der Tag hat 24 Stunden und die vierundzwanzigste und letzte Stunde des Tages beginnt um 24 Uhr und endet um ein Uhr. Und um ein Uhr wiederum beginnt auch der neue Tag. Das ist genauso wie bei den Jahrhunderten und Jahrtausenden, die sich übrigens auch in Jahrzehnte, Jahre, Monate, Wochen, Tage, Stunden, Minuten, Sekunden, usw. zerlegen lassen. Da paßt alles zusammen wie Zeiger und Zifferblatt, keine Lücke, keine Null. Nur ständige Rotation. Gut, ich verstehe, dem einen oder anderen schwirrt jetzt der Kopf. Beginnen wir also nochmal von vorne. Von weit vorne. Also, die Dinosaurier - faszinierende Geschöpfe, ein Lieblingsthema von mir - lassen wir diesmal mit Bedauern links liegen (Norddeutsche müssen sie außen vor lassen, nicht ärgern bitte), überspringen wir die Jahrmillionen, halten wir uns nicht mit der Altsteinzeit, der Jungsteinzeit und auch nicht mit der Bronzezeit auf, sondern steuern wir geradewegs auf den Punkt zu, mit dem der ganze Schlamassel losging, dem Punkt X, dem Beginn unserer christlichen Zeitrechnung: Christi Geburt. Doch halt, hier kann Übereifer von Nachteil sein; Christi Geburt feiern wir ja am 24. Dezember mit dem Heiligen Abend... Vielleicht sollten wir das ohnehin schwierige Thema nicht noch zusätzlich verkomplizieren, und deshalb reden wir einfach von der "Zeitenwende" oder "Zeitwende", wenn wir jenen Moment meinen, in dem die Zeit "v. Chr." mit jener "n. Chr." kollidiert. Nein, mit dem Urknall hat das nicht direkt zu tun; mit dem Knall werden wir uns später einmal beschäftigen. Es dreht sich dabei vielmehr um unser Zeitmodell. Dafür habe ich extra eine Grafik angefertigt (eigentlich hatte ich diese als Titelbild für den ersten Hugi im Jahr 2000 eingesendet, aber Adok meinte, ich sollte besser noch etwas üben und es vielleicht irgendwann später noch mal versuchen).
![]() In der Grafik 1 sieht man also das grundfalsche, phantasielose Modell, mit dem sich nur Naturwissenschaftler und Techniker anfreunden können. Hier beginnt die Zeitrechnung mit dem Jahr Null. Nach diesem Modell würde das alte Jahrtausend mit dem 31. Dezember 1999, 24 Uhr enden und das neue Millennium tatsächlich mit dem 1. Januar 2000, Null Uhr beginnen.
![]() In der Grafik 2 hingegen sehen wir das sehr viel komplexere Zeitmodell für phantasiebegabte Philosophen. Die Zeitrechnung beginnt hier mit dem Jahr eins. Daraus resultiert nicht nur, daß unser Jahrtausend erst mit dem 1. Januar 2001 beginnt, sondern es wird auch der Grundstein für eine ganze Reihe weiterer relativ paradoxer Phänomene gelegt. Nein, mit der Relativitätstheorie hat das nicht direkt zu tun, auf Theorien werden wir ein anderes Mal zurückkommen. Nehmen wir an, Jesus Christus wurde zu Beginn unserer Zeitrechnung, im Jahr Eins, geboren. Dann feierten also Maria und Josef im Jahr Zwei n. Chr. den ersten Geburtstag ihres Kindes. Und schon im Jahr darauf, konkret im Jahr Drei n. Chr., ist der Kleine bereits zwei Jahre alt. So leicht hatten es übrigens alle, die in diesem Jahr geboren wurden: Sie brauchten bloß auf den Kalender zu schauen und ein Jahr subtrahieren, und schon hatten sie ihr Lebensalter. Und im Jahr 11 n. Chr. wurden Jesus und sein ganzer Jahrgang volle zehn Jahre alt. Richtig! Genauso verhält es sich mit unserem Millennium. Auch hier müssen wir noch ein Jahr hinzufügen, weil dessen Großpapa im Jahre Eins geboren wurde. Besonders interessant ist dieses Modell vor allem auch, wenn man sich die nach links in die Vergangenheit ("v. Chr.") weisende Achse ansieht. Ich habe in der Grafik 2 mit Absicht keine Zahlenwerte eingefügt, damit eure Phantasie sich uneingeschränkt austoben kann. Nehmen wir das Jahr Eins vor der Zeitenwende (1 v. Chr.) - wenn wir an dieser Stelle der Grafik eine "1" eintragen, dann folgt dieser Eins als nächstes auf der rechten Seite die "1" für das Jahr Eins, Beginn unserer Zeitrechnung. Wir haben also tatsächlich zwei (ungleiche) Einsen hintereinander. Wir könnten nun vor die linken Eins (1 v. Chr.) ein Minuszeichen setzen (-1 v. Chr), dann kann man diese Eins wenigsten gut vom Jahr Eins (Chr. Geb.) unterscheiden. Oder wir sind so konsequent und ersetzen diese unpassende Eins auf der Linken durch eine Zwei. Dann schaut die Skala recht gut aus: "... - Drei - Zwei - Eins (Zeitwende) - Zwei - Drei - ...", usw. Das Jahr 1 v. Chr. wird in unserer zweiten Grafik demnach mit einer "2" dargestellt; logisch, erst als dieses zu Ende gegangen war, begann die Zeitwende mit dem Jahr "1". Sehe ich denn da immer noch Zweifel in euren Gesichtern? Ihr wollt nun endlich eine konkrete Aussage über den Zeitpunkt des Beginns des neuen Jahrtausends? Das soll und kann aber keinesfalls der Sinn dieses Artikels sein, in dessen Rahmen nur Argumente für These und Antithese angeführt worden sind. Solch komplexe Zeitphänomene erweisen sich häufig als kognitiv schwierig zu erfassen, und - wie wir jetzt wohl alle verstehen - gerade auch in diesem Fall würde bereits die exegetische Analyse erhebliche Defizite aufweisen, wenn sie sich etwa anmaßt, alle Kontroversen überspringend, bleibend gültige Resultate vorzustellen. Ich konnte hier nur die Fakten anführen - der gelungene Überschritt zur Synthese bleibt letztendlich jedem einzelnen von euch selbst überlassen.
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